Wissenschaft vernetzen.

Die Junge Akademie Schweiz vernetzt Nachwuchsforschende aus verschiedensten Wissenschaftsbereichen und bildet ein inspirierendes Umfeld für inter- und transdisziplinäre Begegnungen und innovative Ideen. Die Mitglieder sind Ansprechpartner:innen für die Schweizer Wissenschaft und gelten als die junge Stimme der Akademien der Wissenschaften Schweiz.

Der Forscher, der gerne tausend Leben hätte

«Man kann eben nur ein Leben leben», bedauert der Forscher der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse Darius Farman in seiner wachsam ungezwungenen Art bei einem Spaziergang am Ufer des Genfersees in Ouchy, Lausanne. Schon in jungen Jahren frustrierte ihn diese Vorstellung und deshalb wählte er auch eine multidisziplinäre Studienrichtung, schlug eine Laufbahn als Thinktank-Experte ein und spielt nebenbei leidenschaftlich gern Theater. Er ist stolz auf seine Mitarbeit bei der Jungen Akademie Schweiz, wo er sein Fachwissen einbringen möchte, um die Rolle der Wissenschaft im Schweizer Gesetzgebungsprozess zu untersuchen. 

Porträt | Kalina Anguelova

Sein grösster Frust ist, dass er nur ein Leben hat. Deshalb spielt er Theater: «Da kann man für einen kurzen Moment aus sich herausgehen und sich die grenzenlosen Möglichkeiten vorstellen.» Dabei macht er eine ausschweifende Geste, mit der er alle diese «Möglichkeiten» umfasst und die er beim Thema Europa, einem seiner anderen Leben,  wiederholt. In der eisigen Kälte dieses Montags im April erklärt Darius Farman in seiner ruhigen, zurückhaltenden aber bestimmten Art was er unternimmt, um nicht in einer einzigen Rolle gefangen zu sein. «Mir gefällt die Arbeit in Denkfabriken, weil diese dazu beitragen die Grenzen zwischen den Fachdisziplinen aufzubrechen.» Hinter seiner Zurückhaltung erkennt man bei diesem gebürtigen Lausanner den Drang, alles zu verstehen und zwar schnell, den Wunsch, es richtig zu machen und das Bedürfnis, alle Herausforderungen an die heutige Gesellschaft zu entschlüsseln und nichts dem Zufall zu überlassen. 

 

«Ich interessiere mich schon seit jeher für multidisziplinäre Ansätze»

 

Der 28-jährige ist zugleich Forscher bei der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse und Vizepräsident der Denkfabrik foraus – Forum Aussenpolitik. «Ich interessiere mich schon seit jeher für multidisziplinäre Ansätze.» Darius Farman forscht gegenwärtig an der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Recht zu den Themen Entwicklung der Schweizer Industrie in den vergangenen 20 Jahren, Europapolitik und Herausforderungen der Digitalisierung: «Denkfabriken schlagen Brücken zwischen  Wissenschaft und Gesellschaft, stellen als Schnittstellen Verbindungen her, fungieren als Dolmetscher für verschiedene Sprachen: die Sprache der Wissenschaft, der Politik, der Medien und des breiten Publikums.» Begeistert fügt er hinzu: «In einer immer komplexeren Welt tragen sie dazu bei, dass bei den wichtigen gesellschaftspolitischen Entscheidungen möglichst viele der unzähligen Facetten dieser Komplexität berücksichtigt werden, allen voran die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung.»

 

Und genau diese Erfahrung möchte er in die Junge Akademie Schweiz (JAS) einbringen. Anfang Februar 2020 nahm er zusammen mit drei weiteren Mitgliedern der JAS ein Forschungsprojekt zur Rolle der Wissenschaft im Gesetzgebungsprozess auf. «Wir werden untersuchen, wie die parlamentarischen Kommissionen und Fraktionen ihre Expertinnen und Experten auswählen und wissenschaftliche Fachkenntnisse einbinden. Der Transfer von Fachwissen zwischen Wissenschaft und Politik ist in einer Gesellschaft, in der die politischen Themen hochkomplex geworden sind, äusserst wichtig.»

 

Der Forscher ist stolz auf seine Aufnahme in die Junge Akademie Schweiz, gibt aber zu, dass er anfangs etwas besorgt gewesen war: «Ich war stark eingeschüchtert, weil fast alle der übrigen 28 Mitglieder bereits über einen Doktortitel verfügen.» Auf die Frage, ob er selbst ein Doktorat in Betracht ziehe, antwortet er: «Ich schliesse es nicht aus aber der Zeitpunkt ist noch nicht gekommen.» Er hat es vorgezogen, einen zweiten, mehr praxisorientierten Master in EU Governance and Political Studies am College of Europe in Brügge (Belgien) zu absolvieren. Mit diesem Zusatzdiplom in der Tasche trat er 2018 ein einjähriges Praktikum bei der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta) in Brüssel an. 

 

«Wir werden untersuchen, wie die parlamentarischen Kommissionen und Fraktionen ihre Expertinnen und Experten auswählen und wissenschaftliche Fachkenntnisse einbinden»

 

Darius Farman interessiert sich leidenschaftlich für Europafragen und ist ein grosser Verfechter des bilateralen Wegs, der seines Erachtens unsere Freiheiten bewahrt und uns ermöglicht, die Herausforderungen des Jahrhunderts gemeinsam zu meistern. Das Thema bewegt ihn sehr. «Es gibt manches am Aufbau Europas auszusetzen. Doch Europa ist ein unvergleichliches historisches Abenteuer, das unsere Aufmerksamkeit verdient.» Wie ein Kind über sein Lieblingsspielzeug freut sich Darius über «dieses friedliche «Haus Europas» mit supranationaler Regierung, in dem Unterschiede respektiert werden und Regeln gelten, die ein gemeinsames Verständnis für letztendlich globale Fragen umschreiben.»

 

Der Spezialist für Europafragen schliesst sein Plädoyer mit einer Anekdote. Während seines Studiums am College of Europe hatte er die Gelegenheit zur Feier des 9. Mai einen grossen Kulturabend zu veranstalten. Dieses Datum ist wohl für 99% der Bevölkerung kein Begriff, doch für die Studierenden am College of Europe hat es eine grosse symbolische Bedeutung. «Ich inszenierte für diesen Anlass das Theaterstück von Max Frisch «Biedermann und die Brandstifter». Es ist eine Art theatralisches Pendant zu den philosophischen Thesen von Hannah Arendt über die Banalität des Bösen. Es lag mir am Herzen, den Zuschauern anlässlich des Europatages zu zeigen, dass die Schweiz, auch wenn sie nicht Mitglied des politischen Europas ist, kulturell aufgrund ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Werte im Grunde ein europäisches Land ist.»

 

Schon seit seiner Jugend spielt Darius Theater und Improvisationstheater. «Damals hatte es eine therapeutische Funktion. Es half mir, meine Schüchternheit zu überwinden. Heute ermöglicht mir das Theater, in verschiedene Lebensrollen zu schlüpfen.» Man spürt, wie wichtig ihm die Kultur ist. Am Tag nach unserer Begegnung schickte er mir per E-Mail diese fabelhaften Worte von Antoine de Saint-Exupéry: «Wir ziehen gerade erst in dieses neue Haus ein, das wir noch nicht einmal fertig gebaut haben.»

Biografie

(2019) Senior Researcher Romandie bei der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse und Verantwortlicher der Plattform Avenir Jeunesse

(2016) Blog-Redaktor beim Forum für Schweizer Aussenpolitik foraus, derzeit Vizepräsident von foraus

(2018) Postgraduales Master-Diplom in EU Governance and Political Studies am College of Europe in Brügge (Belgien) mit einem Vollstipendium vom SBFI

(2017) MA in Komparativen und Internationalen Studien an der ETH Zürich

(2015) BA in Internationalen Beziehungen an der Universität Genf

(2018-2019) Policy-Praktikant bei der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta) in Brüssel (Belgien)

(2015-2017) Forschungsassistent beim Center for Security Studies an der ETH Lausanne

(2015-2018) Verwaltungsassistent bei EMC und DES Labors an der ETH Lausanne