Ob ich ein kontrollierter Mensch bin? Ich forsche zu Selbstregulation, und das hat nicht nur mit Kontrolle zu tun. Ich will verstehen, wie unser Hirn uns ermöglicht, Ziele zu verfolgen und zu erreichen. Ich möchte dazu beitragen, dass Menschen ihre Werte und Stärken leben können – für sich selbst und gemeinsam mit anderen. Selbstregulation hilft uns dabei. Dazu gibt es das berühmte Marshmallow-Experiment: Kinder bekommen ein Marshmallow, und wenn sie darauf verzichten, es sofort zu essen, bekommen sie später mehr. Reines Zügeln von Impulsen ist dabei nicht der einzige Weg zum Erfolg. Einige Kinder zeigen kognitive Flexibilität: Sie lenken sich ab oder stellen sich vor das Marshmallow sei gar nichts zum Essen. Ich selbst hätte wahrscheinlich verzichtet: Ich kann sehr lange investieren, bevor ich Früchte ernte.
«Ich kann sehr lange investieren, bevor ich Früchte ernte.»
Ich habe in Bayreuth Philosophy & Economics studiert, weil ich besser verstehen wollte, wie man schwierige Fragen in der Gesellschaft angeht - etwa ein zukunftsfestes Renten- oder Gesundheitssystem. Nach dem Bachelor-Abschluss habe ich drei Jahre als Zeitungs-redaktorin gearbeitet, wollte dann aber meine Analysefähigkeiten weiter schärfen. Mich interessierte die kognitive Psychologie, also habe ich den Master in «Cognitive Science» gemacht. Danach bin ich 2011 als Doktorandin ins Labor für soziale und neuronale Systeme an der Universität Zürich gekommen. Ich habe in einem Nationalfondsprojekt erforscht, wie sich Stress auf die Selbstkontrolle im Gehirn auswirkt und zwar am Beispiel Essen. Viele wollen ihr Essverhalten bewusst steuern, aber das ist nicht immer optimal möglich. Stress erhöht den Wunsch nach einer sofortigen Belohnung und schwächt unsere Fähigkeit, zielgeführte Entscheidungen treffen zu können. Wenn Sie also wissen, dass Sie eine Woche lang Stress haben werden und sich am liebsten mit Schokolade belohnen, sollten Sie sich nicht mit kiloweise Schokolade eindecken.
"Wenn Sie also wissen, dass Sie eine Woche lang Stress haben werden und sich am liebsten mit Schokolade belohnen, sollten Sie sich nicht mit kiloweise Schokolade eindecken."
Ich beschäftige mich aktuell mit der Frage, wie man Interdisziplinarität in Forschung und Lehre fördern und zurück in die Gesellschaft tragen kann. Der Call für die Junge Akademie hat vieles angesprochen, was ich gerne mache: Austausch und Ausbildung für andere junge Forschende zu organisieren, mich für den Dialog mit der Gesellschaft einzusetzen und die Interdisziplinarität zu fördern. Das ist gar nicht so einfach: Wenn Sie interdisziplinär arbeiten wollen, müssen Sie zwei Fächer von der Pike auf verstehen. Das bedeutet, dass Sie viel mehr Zeit brauchen, als wenn Sie sich auf eine Disziplin konzentrieren. Ausserdem müssen Sie viel in die Mittlerrolle investieren, um das Beste aus beiden Welten zu vereinen.
«Der Call für die Junge Akademie hat vieles angesprochen, was ich gerne mache: Austausch und Ausbildung für andere junge Forschende zu organisieren, mich für den Dialog mit der Gesellschaft einzusetzen und die Interdisziplinarität zu fördern.»
Das letzte Jahr hat bei mir einige positive Spuren hinterlassen. Es wurde ziemlich klar, dass man gut auf sich achten muss. Seit über zehn Jahren gehe ich mittags eine halbe Stunde spazieren, in der Pandemie habe ich das zu einer Stunde Walking im Wald ausgebaut. Ich habe gelernt, dass es helfen kann, am Anfang die Ambition zurückzuschrauben. So finden wir leichter den Einstieg und können dank stetiger kleiner Fortschritte gute Gewohnheiten entwickeln und mit der Zeit ausbauen. So habe ich nun eine Alpenquerung geschafft, die ich mir lange vorgenommen hatte. Ich bin gerne auf der Langstrecke unterwegs. Das Ziel zu erreichen, darf länger dauern, aber ich muss währenddessen etwas lernen und einen guten Austausch mit anderen haben.
Silvia Maier (Jg. 1983) ist Forscherin an der Translational Neuromodeling Unit der Universität und ETH Zürich. Sie studierte im Bachelor Philosophy & Economics an der Universität Bayreuth (D) mit der Frage, welche Faktoren «gute» Entscheidungen fördern und schloss einen Master in «Cognitive Science» in Wien und Budapest an. Am Zentrum für Neuroökonomie der Universität Zürich promovierte sie zu neuronalen Mechanismen der Selbststeuerung. Bei der Jungen Akademie ist sie Co-Leiterin eines Projektteams, das die Rolle der Wissenschaft und die Vermittlung aktueller Erkenntnisse für politische Entscheidungen beleuchtet.
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