Interview | Astrid Tomzcak
Sabrina Heike Kessler, wann sind Sie zum letzten Mal auf eine Fake News hereingefallen?
Hereingefallen wohl nicht. Aber ich stosse immer mal wieder darauf – lustigerweise gerade heute (18.08.2022, Anm. d. Redaktion). Eine Kollegin hat auf Twitter eine Schlagzeile der Weltwoche gepostet. Da stand, dass die Corona-Impfung wahrscheinlich schuld am Geburtenrückgang in diesem Jahr ist. Das ist ein Beispiel dafür, wie ein seriös wirkendes journalistisches Produkt nicht verifizierte Nachrichten verbreitet.
Das lässt sich ja relativ leicht widerlegen. Aber wie steht es um weniger offensichtliche Fake News?
Es ist tatsächlich nicht alles so leicht überprüfbar. Ein gutes Beispiel ist der Ukraine-Krieg: Da muss ich glauben, was Journalistinnen und Journalisten schreiben, weil ich ja nicht selber vor Ort bin und auch keine Augenzeugin kenne. Da können natürlich auch Fake News verbreitet werden, aber wenn’s nicht rauskommt, werde ich es auch nie merken.
«Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges», ist ja ein geflügeltes Wort dazu. Wie sieht’s denn bei der Information über wissenschaftliche Themen aus?
In der Wissenschaft und bei Gesundheitsthemen gibt es ganz viel ungesichertes Wissen. Wenn dieses als Tatsache verbreitet wird, stellt sich die Frage, ob das schon Desinformation ist – also eine mit Absicht verbreitete Falschnachricht, die Schaden anrichten soll – oder ob es eben «nur» Unwissen ist.
«Wenn sich eine Fehlinformation verbreitet hat, ist sie irgendwann in den Köpfen der Menschen verankert – und da bekommt man sie sehr schwer wieder raus.»
Sie sind unter anderem Sprecherin des Projekts «COVID-19 und Fake News» der Jungen Akademie Schweiz. Wie können Sie mit einem solchen Projekt Menschen von Verschwörungstheorien wegbringen?
Zunächst muss man zwischen Verschwörungsdenken und Desinformation unterscheiden. Letztere ist etwas weniger umfassend und betrifft konkrete Themen wie eben COVID-19 oder den Ukraine-Krieg. Natürlich sind Verschwörungstheoretiker:innen oft empfänglich für Desinformation. Aber wenn jetzt jemand mal einer Desinformation aufsitzt, heisst das noch nicht, dass er oder sie automatisch auch in einem Verschwörungsdenken gefangen ist. Beim Kampf gegen Desinformation unterscheidet man zwischen Pre-Bunking und De-Bunking. Beim De-Bunking ist die Information schon draussen, und das Kind eigentlich schon in den Brunnen gefallen. Wenn sich eine Fehlinformation verbreitet hat, ist sie irgendwann in den Köpfen der Menschen verankert – und da bekommt man sie sehr schwer wieder raus. Hier braucht es dann nachträgliche Auf- und Erklärung beispielsweise durch professionelle journalistische Debunkingtexte, die eine spezifische Fehlinformation explizit widerlegen. Eine weitere Strategie kann sein, die Verbreitung von Fehlinformationen in Social Media Plattformen zu regulieren oder die Fehlinformation dort als solche mit expliziten Hinweisen zu kennzeichnen. Effektiver ist aber das so genannte Pre-Bunking, quasi eine Impfung gegen Fehlinformation.
Wie funktioniert so eine Impfung?
Durch Aufklärung über Fehlinformation und über fehlinformierende Kommunikations-strategien im Allgemeinen. Das setzt aber Wissen voraus. Dieses Wissen wird in der Forschung oder eben in so einem Projekt der Jungen Akademie Schweiz generiert. Welche Fake News verbreiten sich? Warum nur bestimmte Fake News und andere nicht? Warum wirken sie auf manche Menschen mehr, auf andere weniger? Welche Rolle spielen Informationskompetenz, soziale Medien, generell Informationskanäle und die Mediennutzung? Das sind Fragen, die in solchen Projekten geklärt werden können. Dieses Wissen hilft, Prebunking-Strategien zu entwickeln. Wenn jemand beispielsweise weiss, dass Impfgegner:innen bestimmte Narrative immer wieder verwenden, ist diese Person das nächste Mal, wenn er oder sie diesen Narrativen begegnet, vorbereitet und nachweislich auch weniger anfällig. Die Behauptung, dass in den Impfungen Gift steckt, gab’s beispielsweise schon vor Corona bei anderen Impfungen.
Gerade die Covid-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die verständliche Kommunikation von wissenschaftlichen Inhalten ist. Welchen Beitrag leistet dabei die Kommunikationswissenschaft?
Die Kommunikationswissenschaft zielt darauf ab, Strukturen, Mechanismen und Wirkungen von (effektiver) Kommunikation zu untersuchen. Aber sie bleibt nicht dort stehen, sondern hat auch die Aufgabe, die praktische Umsetzung dieses Wissens kritisch zu hinterfragen – also die Wissenschaftskommunikation oder auch den Wissenschaftsjournalismus zu bewerten, zu evaluieren und Lehren zu ziehen. Sie untersucht beispielsweise wie bestimmte Zielgruppen erreicht werden oder welche Kommunikator:innen besonders sichtbar waren.
«Und dann wird auch deutlich, dass der Wissenschafts-journalismus teuer ist, weil dahinter eben dieser grosse Aufwand steckt.»
Ist der Wissenschaftsjournalismus nicht einfach ein Sprachrohr der Forscherinnen und Forscher?
Der Wissenschaftsjournalismus hat unter anderem die klare Aufgabe, wissenschaftliche Erkenntnisse einzuordnen und zu übersetzen. Nun ist tatsächlich die Frage – wie kann das gestärkt werden? Ich habe gehofft, dass die Corona-Pandemie zu einer Stärkung beiträgt, weil ganz deutlich wurde, wie wichtig das ist. In der Öffentlichkeit und sogar in der Politik dürfte es angekommen sein, wie notwendig es ist, kompetente und ausgebildete Leute zu haben. Um diese Wichtigkeit zu illustrieren, erzähle ich oft eine kleine Geschichte: Am Beispiel der Autismus-Masernimpfung-Debatte erläutere ich, welcher Aufwand dahinter steckt, eine Information wirklich valide zu recherchieren. Ich zeige auf, wie viele Studien man lesen und verstehen muss, dass man die Autor:innen der Studien überprüfen und schauen muss, wer diese Forschung gefördert hat. Ich rede also eine halbe Stunde darüber, was man alles abchecken muss, um herauszufinden, dass die Nachricht, die Masernimpfung führe zu Autismus Fake News ist. Und am Schluss sage ich dann jeweils: «Sie müssen diesen ganzen Aufwand nicht betreiben, das machen nämlich Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten für Sie.» Und dann wird auch deutlich, dass der Wissenschaftsjournalismus teuer ist, weil dahinter eben dieser grosse Aufwand steckt.
Sie sind ja auch Gründungsmitglied der Jungen Akademie Schweiz. Welchen Beitrag kann diese junge Stimme zum Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und damit zum Kampf gegen Fake News leisten?
Die Junge Akademie Schweiz hat sich die Förderung des Dialogs zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zur Aufgabe gemacht. Im Projekt zum Thema COVID-19 und Fake News setzen wir uns anhand eines aktuellen Themas mit der generellen Verbreitung von wissenschaftlicher Misinformation auseinander. Dabei haben wir verschiedene Formate genutzt, darunter Co-Creation-Workshops und eine Bevölkerungsumfrage. Wir machen jetzt noch eine Delphi-Befragung mit Expertinnen und Experten und organisieren im Rahmen des Prix Média eine Podiumsdiskussion zum Thema. Einerseits geht es uns also darum, den Kontakt zwischen jungen Forschenden und der Gesellschaft herzustellen, andererseits aber auch darum, Forschung zu übersetzen und die Erkenntnisse verständlich zu kommunizieren. Dafür setzen sich die Mitglieder der Jungen Akademie Schweiz auch in anderen Projekten sehr engagiert ein.
Fehlinformation = falsche Information, die überprüfbar ist und durch Faktenüberprüfung widerlegt werden kann
Desinformation = mit bewusster Täuschungsabsicht verbreitete Fehlinformation
Misinformation = ohne bewusste Täuschungsabsicht verbreitete Fehlinformation
Fake News = verbreitete Desinformation im Design einer journalistischen Nachricht
Verschwörungserzählungen/-theorien = alternative Erklärungen für Ereignisse, Vorgänge, Zustände oder Handlungen, die sich auf Einzelpersonen oder Gruppen beziehen, die im Geheimen handeln und durch den Einsatz bestimmter (illegaler) Mittel meist das Ziel des Machterwerbs oder Machterhalts verfolgen.
Sabrina Heike Kessler (Jg. 1986) ist seit August 2017 Senior Researcher und Teaching Associate am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Universität Zürich. Sie ist Gründungsmitglied der Jungen Akademie Schweiz und Sprecherin des Projekts «Was lehren uns COVID-19 Fake News über die Verbreitung von wissenschaftlichen Fehlinformationen im Allgemeinen?». Sie hat an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Medienwissenschaft (HF), Germanistische Sprachwissenschaft (NF) & Psychologie (NF) studiert und ebenfalls in Jena in der Kommunikations-wissenschaft promoviert. Ihre Spezialgebiete sind unter anderem Wissenschafts- und Gesundheitskommunikation und deren Wirkung. Ihre Freizeit widmet sie zurzeit vor allem ihrem 3-jährigen Sohn, «indem ich versuche seine 50 bis 100 Wieso- und Warum-Fragen so leicht verständlich wie nur möglich zu beantworten», wie sie lachend sagt.
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