Odile Ammann lehrt an der Universität Lausanne und schliesst derzeit ihre Habilitationsschrift im öffentlichen Recht ab. Der in der Jungen Akademie Schweiz grossgeschriebene Teamgeist hat sie überzeugt. Seit 2020 arbeitet sie mit drei weiteren Mitgliedern an einem Projekt, das die Rolle der Wissenschaft im Gesetzgebungsverfahren unter die Lupe nimmt.
Porträt I Karlina Anguelova
Lobbyarbeit in der Gesetzgebung, akademische Freiheit, Unabhängigkeit der Justiz: Diese Themen gehören zu meinen Interessengebieten. Meine Arbeit basiert auf dem vergleichenden Verfassungsrecht und dem öffentlichen internationalen und europäischen Recht. Als ich Anfang 2020 bei der Jungen Akademie Schweiz (JAS) anfing, schlug ich ein Forschungsprojekt zur Rolle der Wissenschaft im Gesetzgebungsverfahren vor. Nach welchen Kriterien wählen die parlamentarischen Kommissionen die Expert:innen aus, die sie anhören: Ist es Zufall? Spielt das Netzwerk der Politiker:innen mit? Wie und warum wendet sich die Politik an diesen Wissenschaftler und nicht an einen anderen? Im Jahr 2021 habe ich diese Studie mit drei weiteren Mitgliedern begonnen. Unser Ziel ist es, diese Abläufe transparenter zu gestalten und den jungen Forschenden das Rüstzeug mitzugeben, um ihnen den Zugang zu ermöglichen.
«Ich bin überzeugt davon, dass Individualismus nicht mit akademischer Arbeit vereinbar ist, da diese immer das Ergebnis gemeinsamer Bemühungen ist.»
Ich begrüsse Teamgeist, ein zentraler Wert der JAS: Gemeinsam und über die Disziplingrenzen hinweg Wissen zu schaffen ist etwas, das mir am Herzen liegt. Die JAS ist die Stimme der jungen Wissenschaftler:innen. Eine unerlässliche Stimme, um die Schweizer Forschungslandschaft zu vervollständigen. Man kann sich ein Puzzle vorstellen, dessen Teile perfekt ineinandergreifen und so ein kohärentes Ganzes ergeben. Manchmal höre ich diesen Satz: «Man sollte seine Ideen nicht teilen, damit sie nicht geklaut werden.» Ich vertrete die gegenteilige Ansicht und bin überzeugt davon, dass Individualismus nicht mit akademischer Arbeit vereinbar ist, da diese immer das Ergebnis gemeinsamer Bemühungen ist. In diesem Sinne geben wir zusammen mit einem weiteren Kollegen der JAS einen frei zugänglichen Kommentar zur Bundesverfassung heraus. Der Onlinekommentar macht die juristische Forschungslandschaft vielfältiger.
Die Forschung im Ausland hat meinen Horizont erweitert. Zu sehen, wie die Dinge anderswo gehandhabt werden, hilft, die Besonderheiten des Schweizer Systems besser zu verstehen, was bewahrt werden soll, was geändert werden könnte. «Man sollte sich hohe Ziele setzen und sich nicht selbst einschränken», sagte einer meiner Professoren an der Universität Freiburg zu mir, als ich mir überlegte, mich für einen Auslandaufenthalt zu bewerben. Neben der Universität Oxford und dem Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg hat mich die Harvard Law School intellektuell und menschlich besonders geprägt. Für meine Habilitationsschrift bin ich immer noch regelmässig dort.
«Jura ist eine Disziplin ist, die sowohl eine fast mathematische Genauigkeit als auch eine Affinität zu Wörtern erfordert und gleichzeitig direkt mit gesellschaftlichen Fragen verbunden ist.»
Warum ich mich für Jura entschieden habe? Weil es eine Disziplin ist, die sowohl eine fast mathematische Genauigkeit als auch eine Affinität zu Wörtern erfordert und gleichzeitig direkt mit gesellschaftlichen Fragen verbunden ist. Als ich mich für einen Weg entscheiden musste, erschien mir Jura ein guter Kompromiss, um mich nicht sofort festlegen zu müssen. Die Disziplin eröffnet faszinierende Perspektiven, wenn sie kontextabhängig und kritisch betrachtet wird – und wenn man dabei den Sinn für Humor nicht verliert. Das versuche ich meinen Studierenden im ersten Jahr an der Fakultät für Rechtswissenschaften, Kriminalwissenschaften und öffentliche Verwaltung der Universität Lausanne zu vermitteln. Zukünftige Jurist:innen auszubilden ist eine unglaubliche Chance und eine grosse Herausforderung. Ich hatte das Glück, 2021 zur assoziierten Professorin ernannt zu werden – ein Schlüsselmoment im Leben einer Wissenschaftlerin.
Die 34-jährige Odile Ammann ist assoziierte Professorin an der Fakultät für Rechtswissenschaften, Kriminalwissenschaften und öffentliche Verwaltung der Universität Lausanne. Sie verfügt über ein Doktorat in Internationalem Recht der Universität Freiburg und einen Masterabschluss in Rechtswissenschaften (LL.M.). Derzeit schliesst sie ihre Habilitationsschrift im öffentlichen Recht ab, die sich mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen des parlamentarischen Lobbyings in Europa und den USA befasst. Sie war Mitglied des Stiftungsrats der Schweizerischen Studienstiftung und sitzt im Vorstand der Internationalen Juristenkommission. 2021 erhielt sie den Nachwuchspreis (Silber) der SAGW und den Walther Hug-Preis.