Mey Boukenna, im Mai wurden Sie in die Junge Akademie aufgenommen, jetzt werden Sie von der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften mit einem Stipendium für ein PhD gefördert. Es scheint, bei Ihnen läuft immer alles rund. Stimmt dieser Eindruck?
(Lacht). Ich habe mich über die gute Nachrichten dieses Jahres sehr gefreut. Ich mag es, viele Dinge parallel zu tun, und ich liebe die Abwechslung. Das war schon immer so. Ich habe einen deutschsprachigen Kindergarten besucht, dann die Primarschule auf Französisch, das Gymnasium auf Deutsch und Englisch – und hatte dann mit 15 das Gefühl, dass ich doch auch gerne ein französisches Baccalaureat machen würde. Das habe ich dann ein Jahr vor der Matura gemacht, was auch zeigt, wie gut das Schulsystem in der Schweiz ist. Ausserdem bin ich aktives Mitglied der schweizerischen Studienstiftung und war einige Jahre beim Jugendrotkreuz beteiligt. Ich mache nicht gerne nichts.
Man könnte auch sagen: Sie halten das Nichtstun nicht aus.
Vielleicht. Den letzten langen Urlaub hatte ich nach dem zweiten Studienjahr, einen Monat. Nach etwa zwei Wochen habe ich angefangen, eine Internetplattform aufzubauen, um weit entfernte, exotische Gruppenreisen zu erleichtern. Das hat aber nicht funktioniert. Ich habe viel Zeit in den Aufbau einer Website investiert, habe mir auch Rechtsberatung gesucht – und scheiterte letztlich am Marketing. Eine gute Idee nützt nichts, wenn man sie nicht an die Kundschaft bringt.
Was haben Sie daraus gelernt?
Dass ich bei künftigen Projekten mehr Zeit investieren müsste, um ein Team zusammenzustellen, zu planen und eine Bedarfsanalyse zu machen. Deshalb schätze ich auch die Mitgliedschaft bei der Jungen Akademie sehr: Hier können wir mit vereinten Kräften interessante Projekte anpacken, mit einem Team von Menschen mit sehr unterschiedlichen Expertisen und Perspektiven.
Wer hat Sie auf Ihrem bisherigen Weg besonders geprägt?
Auf jeden Fall meine Mutter. Sie ist Ärztin, Forscherin und meine beste Mentorin. Und mein Vater, der Kardiologe ist. Er hat mir sicherlich seine Leidenschaft für dieses Fach weitergegeben. Ich bewundere beide sehr. Allerdings wollten sie, dass ich auch andere Optionen als Medizin exploriere, bevor ich mich festlege. (lacht). Während meinem Studium wurde ich von vielen Professoren geprägt. Ein wichtiges Prinzip, das mich begleitet und das ich von Prof. Marcel Tanner gelernt habe, ist wie essentiell es ist, sich bei einem wohlwollenden Vorhaben mit den Betroffenen auszutauschen und auf deren subjektive Bedürfnisse einzugehen.
Welche Eigenschaften Ihrer Mutter bewundern Sie besonders?
Ihre Analysefähigkeiten, ihre Aufgeschlossenheit und ihre Hartnäckigkeit (ténacité)
Ist es in der Wissenschaft förderlich oder hinderlich, eine Frau zu sein?
(Denkt lange nach). Weder noch. Aber wahrscheinlich bin ich mit meinem kleinen Erfahrungsschatz noch zu jung, um diese Frage zu beantworten. Die höchste Ebene in der Forschungslandschaft ist von Männern dominiert, es gibt auch viel weniger Professorinnen. Persönlich habe ich bis jetzt mein Geschlecht nicht als Hindernis erlebt. Aber ich würde es definitiv schätzen, mehr Professorinnen zu haben.
In Ihrem Motivationsschreiben für die Junge Akademie haben Sie unter anderem betont, wie wichtig Ihnen der «open access» ist. Dabei postulieren Sie, dass Forschung nicht nur auf der akademischen Ebene frei zugänglich sein sollte, sondern auch der Gesellschaft vermittelt werden muss. Wie soll das passieren?
Also zuerst einmal ist das ja keine neue Idee. Schon im 18. Jahrhundert führte der Chemiker Antoine Lavoisier seine Experimente vor einem Laienpublikum durch und auch diese Leute mussten im Groben verstehen, was er da macht. Es ist wichtig, dass Laien verstehen, was die Wissenschaft treibt. Deshalb möchte ich auch mit der Jungen Akademie ein Projekt in dieser Richtung verfolgen: Meine Idee wäre, dass PhD-Studierende eine Laienversion ihrer Forschungsarbeit auf einer allgemein zugänglichen Plattform publizieren – und zwar in möglichst verschiedenen Formaten, das könnte beispielsweise auch ein Video oder ein Science Slam sein. Andererseits würde eine solche Plattform den Austausch zwischen den Forschenden fördern.
«Ich mag es, viele Dinge parallel zu tun, und ich liebe die Abwechslung. Das war schon immer so.»
Nun hat die Wissenschaft ja durch die Corona-Pandemie in der Öffentlichkeit eine Plattform erhalten wie selten zuvor. Allerdings erhalten viele Menschen den Eindruck, dass Forschende sich ständig widersprechen. Ist das nicht ein verzerrtes Bild?
Nein. Es gibt ja tatsächlich in den meisten Forschungsgebieten Kontroversen, was den Wissensstand auch weiterbringt. Ich denke, die Pandemie hat die Leute dafür sensibilisiert, wie Wissenschaft funktioniert und was sie leistet. Auf der anderen Seite lernen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dadurch, dass die Leute wissen wollen, welche Grundlagen zu politischen Entscheidungen führen. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass sich Forschende tatsächlich immer wieder fragen sollten, wie Sie Ihre Forschung und deren Nutzen an Laien erklären würden.
Sie haben bereits skizziert, welches konkrete Projekt sie mit der Jungen Akademie umsetzen möchten. Was wollen Sie grundsätzlich mit der JA erreichen?
Zunächst geht es darum, die Junge Akademie in der Schweiz zu etablieren. Wir sind einerseits die Stimme der jungen Forschung in der Schweiz. Andererseits können wir auch die Erwartungen der Jungen Generation in der Gesellschaft in die Forschungswelt hineintragen. Ein Ziel ist es auch, zu zeigen, wie offen die Wissenschaft sein kann und wie viele verschiedene Akteure dazu beitragen – und dass auch weniger Etablierte was zu sagen haben.
Mit welchen drei Adjektiven würden Sie sich charakterisieren?
Leidenschaftlich. Perséverante – damit meine ich eine Mischung aus ausdauernd und hartnäckig. Und neugierig.
Mey Boukenna ist 1996 geboren und in Basel aufgewachsen, wo sie noch heute lebt. Die algerisch-schweizerisch-kanadische Dreifachbürgerin ist zweisprachig aufgewachsen (deutsch und französisch). Sie hat in Bern Medizin studiert und ist seit September in einem von der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften geförderten PhD-Programm. Davor wurde sie bereits von der «Stiftung zur Förderung medizinischer und biologischer Forschung» mit einem Stipendium für ihre Dissertationsarbeit an der Harvard Medical School unterstützt sowie von der «Schweizerischen Studienstiftung» für ein klinisches Praktikum auf der Intensivstation des Vancouver General Hospital. Sie war auch Teilnehmerin vieler von der Studienstiftung organisierten Veranstaltungen, unter anderem der Winterakademie in Tanzania zum Thema «Planning for Health». Ausserdem organisierte sie im Rahmen der Studienstiftung mit Oceane Pomini ein Seminar zu Rechtsmedizin und Medizinrecht. Nebst der Medizin interessiert sie sich für rechtliche, ethische und wirtschaftliche Fragen, spielt gerne Tennis – und sie ist eine Wasserratte: «Ich kann drei Stunden im Meer verbringen», sagt sie lachend.
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