Was haben die Geldflüsse mit dem Klimawandel zu tun? Wie können Kohlekumpel an der grünen Wende partizipieren? Mit diesen Themen bewegt sich Florian Egli an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Als Präsidiumsmitglied der Jungen Akademie Schweiz will er dazu beitragen, diese Schnittstelle zu stärken.
Florian Egli, wie würden Sie in drei Stichworten den Zustand der Welt beschreiben?
Puuh. Drei Stichworte sind schwierig. Sicher ist Ungleichheit ein wichtiges Thema. Dann die Entkoppelung von materiellem Output und Input: Vor 150 Jahren haben die Menschen einen Grossteil des täglichen Bedarfs selber hergestellt oder im Nachbarort besorgt. Damit einher geht eine schwindende Verbundenheit mit dem natürlichen Lebensraum, weil sich Menschen immer mehr in artifiziellen Räumen bewegen. Was mich auch beschäftigt, ist die Geschwindigkeit, das Zeitgefühl der Menschen hat sich krass verschoben, alles geht unheimlich schnell.
Sie sind Ökonom und beschäftigen sich vor allem mit Klimafragen. Wie sind Sie dazu gekommen?
Zuerst habe ich ein Medizinstudium angefangen – und zwar weil ich der Gesellschaft etwas zurückgeben wollte. Aber ich habe gemerkt, dass ich nicht genug Leidenschaft dafür habe, um ein Arbeitsleben damit zu verbringen. Dass ich mich für Wirtschaft entschieden habe, hat eigentlich mit meiner Kindheit zu tun: Ich habe immer die Zeitung gelesen, und zwar den internationalen Teil und den Sportteil. Den Sport wollte ich nicht beruflich verfolgen, der ist einfach Teil meines sonstigen Lebens. Aber ich wollte wissen, wie unsere Welt funktioniert. Bei der Zeitungslektüre wurde mir klar: Wenn ich in Zürich aufwachse, kann ich in meiner Jugend viele Fehler machen, aber die Chance, dass ich trotzdem immer wieder die Kurve kriege, das Gymnasium abschliessen und meinen Weg machen kann, ist sehr gross. Wenn ich hingegen in einem anderen Land die Kurve mit sechs Jahren nicht gekriegt hätte, wärs vorbei gewesen. Und das wiederum hat viel mit wirtschaftlichen Zusammenhängen zu tun: Menschen leben mit unglaublich unterschiedlichen Möglichkeiten. Ich bin überzeugt, dass die wirtschaftlichen Zusammenhänge einer, wenn nicht sogar der wichtigste Treiber unserer Lebensrealität ist. Dass ich mein Wirtschafsstudium mit allgemeiner Ökologie kombiniert habe, war dann ein emotionaler Entscheid. Ich fühle mich dem natürlichen Lebensraum sehr verbunden, und es stimmt mich traurig, wenn dieser Lebensraum verloren geht.
«Das Funktionieren der Natur, die Koexistenz der verschiedenen Lebewesen, dieser systemische Gedanke – das hat mich schon immer interessiert.»
Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie für die Klimapolitik sensibilisiert hat?
Es war ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Das Funktionieren der Natur, die Koexistenz der verschiedenen Lebewesen, dieser systemische Gedanke – das hat mich schon immer interessiert. Mit 20 bin ich mit meiner damaligen Freundin vier Monate lang durch zehn Länder im südlichen Afrika getrampt, immer sehr naturnah. Für den Rückflug aus Dar es Salaam habe ich dann zum ersten Mal wieder Socken angezogen und ich kann mich bis heute an dieses Gefühl erinnern. Wie unnatürlich das eigentlich ist, wenn man es sich einmal abgewöhnt hat. Dieses Gefühl der Verbundenheit mit dem Boden hat mich zu Umweltfragen und dann auch zur Klimafrage gebracht. Später habe ich mir nämlich die Frage gestellt, was die grosse gesellschaftliche Herausforderung des 21. Jahrhunderts und somit auch meiner Generation ist. Ich bin überzeugt, dass dies der Klimawandel ist.
Womit beschäftigen Sie sich denn heute in der Forschung?
Vor allem mit zwei Themen: Erstens mit der Frage, welche Rolle Investitionen respektive der Finanzsektor im Klimawandel spielt. Es geht letztlich darum, mit welchen ökonomischen Anreizen man die Klima- und Energiewende voranbringen kann. Die zweite Frage lautet, wie die «Verlierer» dieser Transition – also etwa Kohlenmine-Arbeiter – auf den Wandel reagieren. Es ist klar, dass der Kohleabbau keine Zukunft hat. Was kann man diesen Leuten also anbieten als Partizipation an der grünen Ökonomie? Prozentuell ist zwar nur ein kleiner Teil der Gesellschaft betroffen, aber die Einzelschicksale sind hart. Weil es nur wenige betrifft, wären Geldkompensationen das Einfachste. Aber das funktioniert nicht, weil Menschen Wertschätzung für ihre Arbeit wollen. Wir müssen uns also wirkungsvolle Umschulungen überlegen und hier wissen wir noch fast nichts. Was klar ist: es bringt nichts, Kumpel aus Kohlegruben in Programmierkurse zu schicken. Sie müssen etwas tun können, was näher an ihren Fähigkeiten liegt. Gar nicht so einfach.
Haben Sie ein Vorbild in der Wissenschaft?
Ich arbeite in London mit der amerikanisch-italienischen Ökonomin Mariana Mazzucato zusammen. Sie ist sehr unkonventionell und hinterfragt ökonomische Glaubenssätze, die seit den 1950er Jahren vorherrschen, wie denjenigen des Individualismus und eines rationalen Marktverständnisses im Gleichgewicht, idealerweise mit möglichst wenig staatlichen Interventionen. Scheingewissheiten räumt sie sehr überzeugend aus dem Weg, indem sie ein neues Narrativ vorlegt. Dieses Narrativ lautet: Der öffentliche Sektor ist viel relevanter, als wir denken. Viele Technologien, die unseren Alltag prägen und verändert haben, beispielsweise Touchscreen und GPS, wurden mit sehr viel öffentlicher Unterstützung entwickelt. Das zeigt Mazzucato am Beispiel des iPhones auf. Und weil der öffentliche Sektor so wichtig ist, müssen dort gute Leute arbeiten, die einen unternehmerischen Geist haben, risikofreudig sind und dafür einstehen, dass der Staat was unternimmt und sich nicht zurückzieht. Es geht darum, vom Denken wegzukommen, dass staatliche Intervention was Schlechtes ist. Sie kann sehr effektiv sein. Mazzucato nennt das den «entrepreneurial state». Besonders wichtig ist dieser, wenn man gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem Klimawandel begegnen und die wirtschaftliche Entwicklung in eine bestimmte Richtung steuern will – also nicht einfach Innovation fördert, sondern zum Beispiel spezifische Technologien, die einen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leisten können.
In Bezug auf den Klimawandel scheint aber die Macht oder der Wille der Staaten nicht gerade sehr stark zu sein: Zwar ist das Thema politisch und gesellschaftlich präsent, aber Vorstösse, griffige Massnahmen und Gesetze zu erlassen, scheitern doch immer wieder.
Ich denke, wir befinden uns an einer Schwelle. Wenn wir die Emissionen betrachten, ist es tatsächlich frustrierend, da passiert fast nichts. Um die Klimaziele zu erreichen, müssten wir jedes Jahr Emissionen vermeiden im Umfang, wie es im Pandemiejahrs 2020 geschah – was das heisst, haben wir ja alle erlebt. Andererseits bewegt sich aber sehr viel. Es gibt weltweit erneuerbare Energien, die wettbewerbsfähig sind mit fossilen Energieträgern. Und sie werden immer günstiger, was auch neue Entwicklungen wie synthetische Treibstoffe voranbringt, die beispielsweise für den Flug- und Schiffsverkehr wichtig sind. Die Tragweite dieser Veränderung ist noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ich denke zum Beispiel, dass es in wenigen Jahren fast unmöglich sein wird, einen Verbrennungsmotor zu kaufen. Wir unterschätzen, wie schnell so ein Wandel vonstatten geht. Das Schöne am Menschen ist ja, dass er letztendlich sehr anpassungsfähig ist. Das stimmt mich optimistisch.
«Ich habe schon vorher Organisationen an der Schnittstelle zwischen Gesellschaft, Wissenschaft und Politik mitaufgebaut. Diese Schnittstelle muss besser werden.»
Sie sind im zweiten Jahr in Folge Präsidiumsmitglied der Jungen Akademie. Was war Ihre Motivation, sich für die Junge Akademie zu bewerben?
Ich habe schon vorher Organisationen an der Schnittstelle zwischen Gesellschaft, Wissenschaft und Politik mitaufgebaut. Diese Schnittstelle muss besser werden. Das zweite ist: Junge Leute müssen mehr zu sagen haben. Ein aktuelles Beispiel sind die Pläne für die Einrichtung einer ständigen Science Taskforce zur Beratung von Bundesrat und Politik. Es ist für mich absolut zentral, dass junge Leute da vertreten sind. Die Junge Akademie ist ein wichtiges Gefäss, um solche Anliegen voranzutreiben.
Welche Erwartungen hatten Sie an die Junge Akademie – und haben sie sich erfüllt?
Die Junge Akademie hat es geschafft, eine echt diverse Organisation zu sein. Das empfinde ich als sehr positiv und wertvoll. Die Junge Akademie ist tatsächlich der diverseste Ort, den ich in der schweizerischen Wissenschaftslandschaft kenne – diesbezüglich hat sie also meine Erwartungen voll erfüllt. Hier findet ein spannender Austausch mit Leuten statt, die vielleicht karrieremässig am gleichen Punkt stehen, aber ansonsten sehr unterschiedlich sind. Vorantreiben möchte ich, dass wir auch in unseren Funktions- und Arbeitsweisen jung und unternehmerisch unterwegs sind, mehr Mut zeigen, auch mal was auszuprobieren.
Was war Ihr grösstes Learning als Präsidiumsmitglied?
Für eine neue Organisation ist es wichtig, persönlich zusammenzukommen. Das war natürlich in der Pandemie sehr schwierig. Dazu kommt die Erkenntnis, dass wir gerade im Präsidium eine Scharnierfunktion haben: Einerseits sind wir Bindeglied zu den Mitgliedern, andererseits mussten wir dieses neue Gefäss im Kosmos der Akademien navigieren, die über Jahrzehnte gewachsen sind. Es braucht sehr viel Fingerspitzengefühl in beide Richtungen ehrlich, transparent und auf der richtigen Flughöhe zu kommunizieren und so die Organisation als Ganzes zusammenzuführen.
Welche Rolle könnt ihr denn als jüngste Organisation im Verbund spielen?
Im Idealfall sind wir ein Experimentierbecken für die Akademien als Ganzes. Wir können Sachen ausprobieren, schauen ob sie funktionieren und unsere Erfahrungen mit den anderen teilen.
Gerade hat die Junge Akademie einen Call für neue Mitglieder lanciert. Was sollte der oder die ideale Kandidat:in mitbringen?
Ein grosses Interesse an Gesellschaft und Politik. Den Drive, etwas verändern zu wollen. Und ein ehrliches Interesse, sich mit anderen Standpunkten auseinanderzusetzen.
Florian Egli (Jg. 1989) ist in Stäfa (ZH) aufgewachsen und hat in Zürich sowie ein Jahr in Neuseeland das Gymnasium besucht. Nach der Matura und der RS hat er zunächst ein Jahr Medizin studiert, bevor er fürs Wirtschaftsstudium nach Bern umgezogen ist. Es folgten Aufenthalte in Genf, Frankreich und «Wanderjahre» auf der ganzen Welt. Vor 5 Jahren ist er mit seiner Freundin nach Zürich zurückgekehrt, wo er auch seine Dissertation geschrieben hat. Seit er ein kleiner Junge ist spielt Florian Egli Fussball, heute kickt er in der Alternativen Liga. Er ist auch oft auf dem Mountainbike anzutreffen, im Winter auf dem Snowboard oder den Langlaufskis. Früher hat er viel Gitarre gespielt, das kommt jetzt etwas zu kurz. Er kocht gerne, am liebsten mediterran – Olivenöl und Zitronen dürfen meistens nicht fehlen. Zudem liest er viel – gerade «Die Katzen von Shinjuku»
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