Wissenschaft vernetzen.

Die Junge Akademie Schweiz vernetzt Nachwuchsforschende aus verschiedensten Wissenschaftsbereichen und bildet ein inspirierendes Umfeld für inter- und transdisziplinäre Begegnungen und innovative Ideen. Die Mitglieder sind Ansprechpartner:innen für die Schweizer Wissenschaft und gelten als die junge Stimme der Akademien der Wissenschaften Schweiz.

Sie setzt sich für eine faire Wissenschaftswelt ein

Als 13-Jährige besuchte Fanny Georgi einen Vortrag der Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard. Von da an wusste sie, dass sie Molekulare Biotechnologie studieren möchte. Inzwischen setzt sich die Virologin als Leiterin Fakultäts- und Professurengeschäfte im Dekanat der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich (UZH) und als Mitglied der Jungen Akademie Schweiz für eine faire und nachhaltige Wissenschaftswelt ein. Was es braucht, um Chancengleichheit zu fördern, wie wichtig der Dialog ist, um Lösungen zu finden, und welche "Berufskrankheit" man aus dem Labor mitnimmt, erzählt Fanny Georgi im Interview.
 

Interview | Lisa Stalder

Fanny Georgi, lassen Sie uns gleich zu Beginn mit Klischees über Forschende aufräumen. Oder gibt es etwas, dass typisch Naturwissenschaftler:in ist?

Das ist aber gleich eine spannende Frage! Ich kann auf jeden Fall damit aufräumen, dass Forschenden unentwegt die Haare zu Berge stehen, es im Labor immer raucht und blubbert, und wir uns für nichts ausserhalb unseres Fachgebiets interessieren würden. Auch gibt es in meiner Generation etwa so viele Frauen wie Männer unter Studierenden und Doktorierenden, in den Biowissenschaften sind sie in der Überzahl. Aber ich muss gestehen, dass ich durchaus eine Art "Berufskrankheit" aus meiner Arbeit mit Krankheitserregern mitgenommen habe: Ich vermeide es, Haltestangen im Bus oder Türklinken im Zug anzufassen. Nicht nur, weil die Mikrobiologin in mir all die Bakterien und Viren durchgeht, die darauf sein könnten. Sondern, weil ich durch die jahrelange Arbeit im Biosicherheitslabor so verinnerlicht habe, nichts mit meinen Handschuhen zu kontaminieren. Aber zum Glück bin gleichzeitig sehr geübt darin geworden, Türen mit dem Ellenbogen zu öffnen. (lacht)

 

Sie haben Ihre Doktorarbeit an der UZH über die Suche nach neuen Wirkstoffen gegen Virusinfektionen geschrieben. Die Doktorarbeit mussten Sie wegen COVID vom heimischen Laptop aus verteidigen.

Ja, das war sehr schade. Und irgendwie ironisch. Ich habe für meine Doktorarbeit nach neuen Wirkstoffen gegen eine bestimmte Virusfamilie geforscht. Und ich habe da tatsächlich etwas Spannendes gefunden. Nämlich, dass ein Wirkstoff, der bereits zugelassen ist, aber nicht mehr gegen das HI-Virus verwendet wird, geeignet ist, um die Ausbreitung von Infektionen mit einigen Typen des Adenovirus zu verhindern. Der nächste Schritt wäre gewesen, klinische Daten zu generieren, um schliesslich eine Zulassung oder ein Patent in die Wege zu leiten. Doch so weit kam es nicht, denn während der Pandemie floss ein grosser Teil der Forschungsförderung nachvollziehbarerweise in SARS-COV-2 Forschung. Es war sehr viel schwerer, Forschungsgelder für andere Themen einzuwerben.

 

Während der Pandemie schien es, als bestünde die halbe Bevölkerung aus Virologinnen und Virologen. War das für Sie anstrengend?

Es gab durchaus herausfordernde Momente. Von Beginn an fragten mich immer wieder Leute nach meiner Meinung. Das gab mir die Möglichkeit, meine Einschätzung darzulegen. Aber auch zu erklären, wie Wissenschaft funktioniert. Nämlich, dass gerade die Biowissenschaft keine absoluten und abschliessenden Antworten liefern kann. Wir können nur aufzeigen, was wir unter ganz bestimmten Bedingungen beobachtet haben. Eine andere Person könnte in Zukunft herausfinden, dass das, was man beobachtet hat, unter anderen Bedingungen nicht zutrifft. Und das der breiten Öffentlichkeit zu erklären, die verleitet ist, journalistische Meldungen gleich als unumstösslich aufzunehmen, war sehr herausfordernd.

 

«Laut meiner Familie war ich schon immer ein sehr neugieriges Kind, und ich hatte das Glück, dass mich meine Eltern darin immer unterstützten.»

 

Gehen wir einen grossen Schritt zurück. Sie haben sich lange vor der Pandemie für ein Studium der Molekularen Biotechnologie entschieden. Gab es dafür ein Schlüsselerlebnis?

Ja, das gab es. Laut meiner Familie war ich schon immer ein sehr neugieriges Kind, und ich hatte das Glück, dass mich meine Eltern darin immer unterstützten. Zu meinem achten Geburtstag bekam ich mein erstes Mikroskop. Darunter habe ich alles Mögliche begutachtet. Später habe ich selbst Pantoffeltierchen gezüchtet, um sie unter dem Mikroskop anzuschauen. Zudem besuchte ich im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden regelmässig Wissenschaftskommunikationsveranstaltungen. Als ich 13 war, nahm mich meine Mutter zu einem Referat der Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard mit. Ich habe zwar nichts verstanden, war aber trotzdem restlos begeistert. Am Schluss des Vortrags sagte sie, wer noch kein Studium begonnen habe, solle doch Biotechnologie studieren. Für mich war von da an klar, dass ich das machen würde.

 

Sie sind inzwischen Leiterin Fakultäts- und Professurengeschäfte im Dekanat der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der UZH. Warum haben Sie der Forschung den Rücken gekehrt?

Ich möchte betonen, dass das nie eine Entscheidung gegen etwas war. Es lag mir schon in der Schule am Herzen, mich für andere einzusetzen. Damals als Klassen- und Schülersprecherin, später als Co-Präsidentin der Vereinigung Akademischer Nachwuchs der UZH. Es ist mir ein grosses Anliegen, die Wissenschaftswelt fairer, nachhaltiger und dadurch leistungsfähiger zu machen. Und das kann ich in meiner jetzigen Position besser, als wenn ich mich neben einem unsicheren Vollzeit-Forschungsjob für diese Anliegen einsetzen würde. Als mir eine Freundin die Ausschreibung für meine jetzige Stelle schickte, wusste ich: Das ist genau das Richtige für mich. Und seither bin ich an unserer Fakultät für die Fakultätsgeschäfte, Gremienarbeit, Reglemente, Berufungen und alles, was Professuren betrifft, verantwortlich.

 

«Gerade angesichts der aktuellen Herausforderungen können wir es uns schlicht nicht leisten, auf kluge Köpfe wegen ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe zu verzichten.»

 

Ihnen liegen dabei auch die Themen Chancengleichheit und Diversität am Herzen, entsprechend sind Sie Mitglied der Gleichstellungskommission der UZH.

Im wissenschaftlichen Wettbewerb sollte es um die beste Idee und nicht das passendste Gesicht gehen. Gerade angesichts der aktuellen Herausforderungen können wir es uns schlicht nicht leisten, auf kluge Köpfe wegen ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe zu verzichten. Und obwohl 54% der Studierenden unserer Fakultät Frauen sind, fällt ihr Anteil nach dem Doktorat mit jeder akademischen Karrierestufe. Die Aufgabe der Kommission und der dahinterstehenden Abteilung ist es, herauszufinden, welche Hürden Wissenschaftlerinnen im Weg stehen und diese aus dem Weg zu räumen.

 

Und was macht die UZH konkret, um diese Hürden abzubauen?

An der Fakultät schauen wir bei der Beurteilung der Bewerbenden über die Impact-Faktoren ihrer Publikationen hinaus auf den tatsächlichen Impact der Person auf ihr Fachgebiet. Auch schaffen wir Vergleichbarkeit über das normalisierte akademische Alter. Dabei werden Betreuungszeiten und Teilzeitanstellungen berücksichtigt, unabhängig vom Geschlecht. Und wir vermeiden stets den sogenannten Solostatus von untervertretenen Personengruppen. Konkret: Gibt es in einer Bewerbendengruppe nur eine Frau, wird sie durch dieses Alleinstellungsmerkmal schnell auf «DIE Frau» unter den Bewerbenden reduziert und wir greifen eher auf unsere Vorurteile zurück. Sobald noch eine zweite Frau zur Gruppe gehört, wird eine vertieftere Auseinandersetzung mit den Bewerbenden gefördert. Am wirksamsten hat sich aber erwiesen, dass wir geeignete Personen einladen, sich zu bewerben. Das sind einige der Massnahmen, die hier an der Fakultät entstanden und die ich weiterentwickeln möchte. Aber, und das ist mir wichtig zu betonen, Hochschulen können nicht alle Hürden, beispielsweise durch den gesetzlichen Rahmen, aus dem Weg räumen. Dass nichtgebärende Elternteile kaum Elternzeit erhalten oder das Alleinverdienermodell steuerlich gefördert wird, liegt nicht in der Verantwortung der Hochschulen.

 

Ihr Engagement beschränkt sich nicht auf die UZH. Sie gehören zur ersten Generation, welche die Junge Akademie Schweiz aufgebaut hat. Was war Ihre Motivation mitzuwirken?

Als wir vor drei Jahren mit der Arbeit begonnen haben, wusste niemand so genau, in welche Richtung sich die Junge Akademie entwickeln würde. Ich empfand es als faszinierende und spannende Aufgabe, die aber gleichzeitig eine grosse Verantwortung mit sich brachte. Denn mir war bewusst, dass wir als erste Generation überzeugen müssen, damit die Junge Akademie auch tatsächlich weitergeführt wird. Für mich war und ist das ein grosser Ansporn.

 

«Das Schlimmste, was der Wissenschaftswelt passieren könnte, ist Stillstand.»

 

Und wenn Sie nun auf diese drei Jahre zurückblicken, was haben Sie und Ihre Mitstreiter:innen bisher alles erreicht?

Es wäre vermessen, zu erwarten, dass man nach so kurzer Zeit bereits deutliche Spuren hinterlassen könne. Wir haben es aber geschafft, einen konstruktiven Dialog zu fördern und der Perspektive des akademischen Nachwuchses Gehör zu verschaffen. So wie zum Beispiel 2021, als wir mit einer dreiteiligen Veranstaltungsreihe Menschen aus Politik, Wissenschaft und Wissenschaftsförderung zusammenbrachten. Und daran halten wir weiterhin fest, denn wir sind der Überzeugung, dass der erste Schritt zu einer guten Lösung immer der Dialog ist.

 

Und wo führt die Arbeit der Jungen Akademie noch hin?

Ich hoffe, dass die Junge Akademie ein fester Bestandteil in der Schweizer Wissenschaftswelt wird und als Stimme des akademischen Nachwuchses fest in relevante Prozesse eingebunden ist. Ich sehe uns in der Rolle des Motors, der dafür sorgt, dass Weiterentwicklungen vorangetrieben werden können. Denn das Schlimmste, was der Wissenschaftswelt passieren könnte, ist Stillstand. Ich bin zuversichtlich, dass wir unseren Beitrag leisten werden, damit das nicht passiert. Und zwar nicht nur wegen der vielen tollen Mitglieder, sondern auch wegen all der engagierten Menschen, die in der Geschäftsstelle das organisatorische Rückgrat der Jungen Akademie bilden. Sie halten uns in der Spur und zusammen. (lacht).

Biografie

Fanny Georgi wurde 1989 in Dresden in der ehemaligen DDR geboren. Nach einem Auslandsjahr in Neuseeland begann sie in Heidelberg ihr Studium in Molekularer Biotechnologie. Nach dem Masterabschluss wechselte sie für ihre Doktorarbeit an die Universität Zürich. Inzwischen ist sie Leiterin Fakultäts- und Professurengeschäfte im Dekanat der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät an der UZH. Der Wechsel in die Schweiz kam nicht von ungefähr, denn sie liebe «Schoggi, Käse und Berge», sagt Fanny Georgi. In ihrer Freizeit ist die 34-Jährige oft in der Höhe anzutreffen; sie geht wandern und klettern oder erkundet die Bergwelt auf Tourenski («aber nichts allzu Wildes»), um dann anschliessend im Zelt zu übernachten. Draussen zu sein und sich «ganz unsteril» zu bewegen sei das Gegenteil von der Arbeit im Labor und am Schreibtisch und gerade deshalb «der perfekte Ausgleich». Fanny Georgi ist seit der Gründung im 2020 Mitglied der Jungen Akademie Schweiz.