Mit leichter Kost lässt sie sich nicht abspeisen: Als Teenager wünschte sich Elisa Araldi das Fachmagazin «nature» - auch wenn sie kaum verstand, was sie dort las. Heute leitet sie als Assistenzprofessorin an der Universität Parma eine Forschungsgruppe für datenbasierte Systemmedizin. An der Jungen Akademie schätzt sie vor allem den Austausch und die Unterstützung von Menschen, die «im gleichen Boot sitzen».
Porträt I Astrid Tomczak
Manchmal kann das Leben eine ziemliche Herausforderung sein. Und blickt man auf diese stürmischen Zeiten zurück, fragt man sich, wie man sie gemeistert hat. Oder in den Worten von Elisa Araldi: «Das Timing war ziemlich verrückt, es kam alles auf einmal». 2022 wurde sie schwanger, erhielt ihre erste Fakultätsanstellung an der Universität Mainz, bekam eine grosse Projektförderung. Im Februar 2023 wurde ihre Tochter geboren, ein paar Monate später zog sie mit Mann und Kind nach Italien um, wo sie eine Forschungsgruppe übernehmen konnte. «Von einem Tag auf den anderen änderte sich mein ganzes Leben», sagt sie. «Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich so stark sein kann.» Nun sitzt sie also an einem Sommertag im Juni im Video-Call und wirkt hellwach – obwohl sie eigentlich die Nächte nur durchschläft, wenn sie alleine an einer Konferenz ist. «Irgendwie habe ich daran geglaubt, dass ich es schaffe» erzählt sie. «Nicht immer. Aber in meinem Hinterkopf war mir immer klar, dass ich in diese akademische Welt gehöre, dass ich eine Forscherin bin.»
«Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich so stark sein kann.»
Diese Überzeugung ist nicht unbedingt nahe liegend. Elisa Araldi ist die erste Akademikerin in ihrer Familie. Ihre Mutter arbeitete bei der Post, ihr Vater bei der Eisenbahn. Elisa beschreibt sich als neugieriges Kind, das den Dingen auf den Grund gehen wollte. «Das Leben ist so faszinierend», sagt sie. «Niemand kann genau sagen, wie es entstanden ist. Wir tun so, als ob wir es wüssten, aber die Wahrheit ist, dass die Art und Weise, wie es sich entwickelt hat und wie es sich verhält, wenn es gestört wird, einfach jenseits unseres Verständnisses liegt.» Sie besuchte ein naturwissenschaftliches Gymnasium. Irgendwann las die Schülerin in einem Wochenmagazin eine Nachricht über eine naturwissenschaftliche Entdeckung. Die Quelle der Nachricht: die Fachzeitschrift «nature». Also bat Elisa ihre Mutter, ihr diese Zeitschrift zu besorgen. Die Mutter läuft zum Kiosk – wo sie vielleicht die erste Kundin ist, die je nach diesem exklusiven und teuren Wissenschaftsmagazin gefragt hat. Es muss erst bestellt werden. Bei der Erinnerung muss Elisa lachen. «Ich habe dann jeweils Ausgaben erhalten, die schon ein paar Monate alt waren.» 15 oder 16 Jahre alt war sie damals. «Ich habe mir sehr Mühe gegeben, mein Englisch so voranzutreiben, dass ich verstehe, was da steht. Aber ich war nicht sehr erfolgreich.» Aber statt frustriert aufzugeben, verfolgte Elisa Araldi ihren Weg unbeirrt weiter. Sie absolvierte ein Austauschjahr in den USA, nahm dort an Wissenschaftsolympiaden teil. «Ich glaube, ich habe eine Goldmedaille in Genetik geholt, aber ich erinnere mich nicht genau», sagt sie. «Jedenfalls habe ich’s ganz gut gemacht.»
«Das Leben ist so faszinierend.»
Nach ihrem Schulabschluss bewarb sie sich für einen Studienplatz an der Scuola Normale Superiore in Pisa. Es ist die Elite-Uni in Italien, schon aufgenommen zu werden, ist eine Auszeichnung. «Alle meine Freundinnen wussten, dass ich die Zulassung fürs Medizinstudium erhalten hatte», erzählt sie. «Doch ich entschied mich stattdessen für Biologie.» Es ist leicht vorstellbar, dass Elisas Mutter nicht sehr erbaut war – auch wenn sie ihrer Tochter natürlich keine Steine in den Weg legen wollte. «Sie sagte zu mir: Hör mal, ich habe so viel Geld für dieses Magazin ausgegeben, also bitte such dir einen stabilen Job. Werd Ärztin, dann ist das Problem gelöst.» Elisa Araldi erzählt es mit einem leicht humoristischen Unterton, denn sie wusste: «Ich will Forscherin werden, ich will Entdeckungen machen. Ich sah diese abgedrehten Nature Papers, die ich nicht verstand, aber ich wollte sie auch schreiben.» Aber auch ihr war natürlich klar, dass die Job-Aussichten als Medizinerin besser wären. Als sie ihr Masterstudium abgeschlossen hatte, bewarb sie sich erneut für Medizin an der Elite-Uni. Wieder bekam sie die Zulassung, entschied sich aber für ein Doktorat. «In meiner Familie gab es einen Krebstod, der mich sehr mitgenommen hat», erzählt sie. «Ich überlegte mir also, ob ich in die Krebsforschung gehen sollte. Aber ich fand all diese verschiedenen Krebserkrankungen so zufällig.» Stattdessen widmete sie sich dem Stoffwechsel: «Der Stoffwechsel ist so elegant», sagt sie. «Die Physiologie und der Stoffwechsel sind auf ihre eigene Art und Weise wunderschön, weil alles ein Gleichgewicht ist. Kippt es auf die eine Seite, hat man Diabetes, kippt es auf die andere, hat man etwas anderes. Aber dann können wir versuchen, das Gleichgewicht wieder in Ordnung zu bringen.»
«Ich will Forscherin werden, ich will Entdeckungen machen.»
Dieses Gleichgewicht auch im Leben zu finden, ist nicht einfach, wenn eine junge Frau den Weg einschlägt, den Elisa Araldi eingeschlagen hat. Einen Weg, der von mehr Unsicherheiten als Sicherheiten geprägt ist. Die Junge Akademie Schweiz war für sie deshalb viel mehr als irgendeine prestigeträchtige Mitgliedschaft. Sie ist eine wichtige Ressource in manchmal stürmischen Zeiten. «Wir kommen aus verschiedenen Ländern, aus verschiedenen Disziplinen, mit ganz anderen Biografien. Aber wir sitzen alle im gleichen Boot.» So kämpfen alle mit ähnlichen Herausforderungen. Unstabilen Job-Situationen, ständig Bewerbungsgespräche zu führen und sich gleichzeitig mit Fragen der Familiengründung auseinanderzusetzen. «Es hat mir sehr geholfen, mich mit Leuten auszutauschen, die in der gleichen Situation sind oder sie schon erfolgreich gemeistert haben», sagt die 38-Jährige.
«Die Junge Akademie hat mir sehr geholfen, mich mit Leuten auszutauschen, die in der gleichen Situation sind oder sie schon erfolgreich gemeistert haben.»
In ihrer Forschung untersucht sie, welche Mechanismen zur Prävention oder Bildung von Krankheiten beitragen – einerseits mit Laborexperimenten, andererseits mit Daten. «Unsere Forschung könnte schon bald praktische Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben», sagt sie. So hat ihre Gruppe kürzlich herausgefunden, dass bei Menschen mit einer bestimmten Genvariante einige Medikamente weniger wirksam sind. «Mit diesem Wissen können wirksamere Therapien entwickelt werden. Personalisierte Medizin.»
Wer Elisa Araldi sprechen hört, hört eine Frau, die für ihren Job brennt und bereit ist, dafür Hindernisse zu überwinden. «Das Leben ist eine Herausforderung»; sagt sie. «Und wenn Du bereit dafür bist, kämpfst Du. Ich weiss nicht, ob diese Resilienz eine Gabe oder ein Muskel ist, der trainiert werden kann.» Ob angeboren oder antrainiert: Elisa Araldi hat sie, diese Resilienz, die sie dorthin gebracht hat, wo sie heute ist. Irgendwie ist es der Ort, an dem ihre Mutter sie schon immer gesehen hat. «Ich denke, es ist richtig so», sagt Elisa Araldi. «Heute unterrichte ich Medizinstudierende. Am Ende bin ich also doch bei der Medizin gelandet.»
Biografie
Elisa Araldi (Jg.1985) wuchs in Pavia, in der Lombardei auf und studierte in Pisa Biologie. In ihrem Doktorat an der New York School of Medicine widmete sie sich der Pathobiologie und der translationalen Medizin. Danach war sie als Stipendiatin an der Yale University of Medicine und am Institut for Molecular Health Sciences an der ETH, bevor sie an die Universität Mainz wechselte. Heute lebt sie mit ihrem Mann – einem Physiker – und ihrer Tochter in Parma, wo sie eine Forschungsgruppe leitet. Eines ihrer grossen Vorbilder ist Rita Levi-Montalcini, die als verfolgte Jüdin während des Zweiten Weltkriegs in einem Versteck an Hühnerembryos forschte und 1986 im Alter von 77 Jahren mit dem Nobelpreis für Medizin und Neurophysiologie für die Entdeckung von für das Zellwachstum verantwortliche körpereigenen Wachstumsfaktoren ausgezeichnet wurde. «Zu sehen, dass es Frauen gibt, die trotz grösster Hürden, ihre Forschung vorantreiben, war für mich eine grosse Ermutigung», sagt Araldi. In ihrer Freizeit geht sie gerne mit ihrem Partner tauchen – oder fertigt mit dem Lasercutter verschiedene Objekte. Ihr neustes Projekt: Sie will für ihre Tochter ein 3-D-Bilderbuch herstellen.